Vom 04. bis 06. März kamen über 80 Personen aus Universität, Kirchen, Schule und Games-Branche am Fachbereich Theologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zusammen, um im interkonfessionellen wie interdisziplinären Diskurs die Schnittstelle zwischen Kirchengeschichte und Game Studies aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten und zu diskutieren. Etwa 60 % der Teilnehmenden traf sich physisch in Mainz, während die übrigen 40 % der Veranstaltung via Stream zugeschaltet waren. Die Konferenz war in Deutschland die erste ihrer Art zu diesem Thema und wurde durch die Fritz Thyssen Stiftung gefördert. Organisator:innen waren Lukas Boch (Münster), Stefan Michels (Frankfurt a.M.), Katharina Pultar (Würzburg) und Benedict Totsche (Mainz). Weitere Kooperationspartner waren der Arbeitskreis Geisteswissenschaften und Digitale Spiele (AKGWDS), der Mittelalterblog sowie Mittelalter.Digital.
In 16 Beiträgen repräsentierten insgesamt 18 Referent:innen aller akademischen Statusgruppen mehr als zehn verschiedene Fachdisziplinen, darunter Kirchengeschichte, Game Design, Game Studies, Religionswissenschaften, Germanistik, Literaturwissenschaften, Soziologie, Mediävistik, Geschichtswissenschaften, Religionspädagogik und Kulturwissenschaften. Darüber hinaus stellten Studierende der Evangelischen Theologie an der Uni Mainz Plakate zu Forschungsprojekten aus dem Themenzusammenhang der Tagung aus, die unter Anleitung von Benedict Totsche im Rahmen einer Lehrveranstaltung entstanden waren. Bei einer öffentlichen Podiumsdiskussion im Ketteler-Saal der Akademie des Bistums Mainz, Erbacher Hof, tauschten sich schließlich Mathias Herrmann (Dresden), Norbert Köster (Münster), Jennifer Pankratz (Gamedesignerin) und Kerstin Radde-Antweiler (Bremen) unter Moderation von Lukas Boch (Münster) zu Rolle, Bedeutung und Einsatzmöglichkeiten kirchenhistorischer wie religiöser Themen und Motive in Digitalen Spielen aus. Diese verleihen den Spielen aus Perspektive von Design und Storytelling vor allem Tiefe und Atmosphäre sowie den darin auftretenden Charakteren eine weitere Dimension von Handlungsmotiven, die positiv wie negativ bewertet werden können. Außerdem wurde deutlich, dass entsprechende Themen und Motive teils bewusst eingesetzt werden, um eine Agenda (ggf. auch Religionskritik) zu verfolgen, teilweise aber auch unbewusst und dadurch Rückschlüsse auf die Prägungen der Spieleschaffenden erlauben. Der Wunsch nach einem intensiveren Austausch zwischen Wissenschaft und Games-Branche kam deutlich zum Ausdruck.
Die folgenden Sektionen nahmen konkrete Spiele als Fallbeispiele unter die Lupe. In Sektion II – Fallbeispiele aus dem Bereich Strategiespiele – erläuterten Barbara Müller und Sebastian Ryterski (Hamburg) die Darstellung von und den Umgang mit Falsch- und Ungläubigen in „Europa Universalis IV“ sowie in „Elden Ring“. Während „Elden Ring“ einerseits auf die Rhetorik von „Verschmutzung/ Besudelung“ zurückgreift, um „Häretiker“ zu marginalisieren, ermöglicht das Spiel dennoch Sympathie für ihre Sache, sofern „Häresie“ insgesamt zum Konstrukt erklärt wird. In „Europa Universalis IV“ hingegen macht die Verfolgung von Andersgläubigen oder aber ihre Duldung für den:die Spieler:in letztlich keinen Unterschied für das Erreichen des Spielsiegs aus: Beide Wege sind gleichermaßen mit Boni/Mali verbunden, wobei religiöses Hardlinertum und technische Innovation in Opposition zueinander gestellt werden. Hieran schloss der Vortrag von Andreas Wieser (Innsbruck) an, denn auch hinsichtlich der Entscheidung, die Reformation in „Europa Universalis IV“ zu unterstützen oder aber zu bekämpfen, fordert das Spiel den:die Spieler:in nicht zu einer inneren Positionierung auf. Das Lesen von historischen Hintergrundinfos hat wenig bis keine Bedeutung für das Erreichen des Spielsiegs. Dieser Umstand sowie der große Umfang des Spieles ließen „Europa Universalis IV“ als eher ungeeignet für einen Einsatz im (Schul-)unterricht erscheinen. Anhand einer Auswahl von Spielen, die sich primär dem Genre Strategie zurechnen lassen, zeigte Nathalie Schmidt (Dresden) auf, mit welchen (architektonischen) Markern Klöster in Digitalen Spielen als solche kenntlich gemacht und welche (wirtschaftlichen und kulturellen) Funktionen mit ihnen verbunden werden. Hierunter fallen bspw. die Funktion einer Unterkunft für bestimmte Personengruppen oder eines Ortes von Heilung und Bildung sowie eines Wirtschaftsbetriebes, in dem Räucherwerk, Alkoholika, Wachs und Honig produziert werden. Raphael Zager (Herborn/Wiesbaden) sprach über „Stronghold“ sowie dessen Erweiterung „Stronghold Crusader“, wo Religion einen von acht Faktoren für die Beliebtheit des Burgherrn (des:der Spieler:in) gegenüber seinen Untertan:innen darstellt. Klöster stehen hier für Orte von Wissenschaft und (waffen-)technischer Innovation. Mönche betätigen sich als Krieger, während Priester von Kapellen, Kirchen und Kathedralen aus, die sich bei muslimischen Fraktionen lediglich durch die Texturen unterscheiden, das Volk segnen, das wiederum Ernteausfälle gerne auf „Hexerei“ zurückführt. Jonas Renz (Gießen) schließlich untersuchte zwei Titel der „Total War“-Reihe und verglich deren Darstellung kirchenhistorischer Ereignisse und Entwicklungen sowie deren Kontextualisierung im Spielprinzip. In einem Ausblick fragte er dann auch nach konkreten didaktischen Anwendungsmöglichkeiten dieser Spiele.
In Sektion IV – Didaktische Anwendungsmöglichkeiten und Ausblicke – bot Johann Meyer (Leipzig) anhand einer eigenen Lehrveranstaltung einen Einblick in hochschuldidaktische Potenziale der Beschäftigung mit Digitalen Spielen im Fach Kirchengeschichte. Verbunden damit waren grundsätzliche Fragen nach einer neuen Form von Kirchengeschichtsdidaktik, die anstelle einer Überzahl an Fakten vermehrt an der Lebenswelt von Studierenden, aber auch von Schüler:innen ansetzen könne. Im Anschluss an den Vortrag wurde anstelle eines ausgefallenen Referats angeregt im Plenum über Chancen des didaktischen Einsatzes Digitaler Spiele in der (universitären) Kirchengeschichtsdidaktik diskutiert. Manuel Stübecke (Leipzig) rückte in seinem Beitrag die Figur des Pfarrers Grigori von Ravenholm aus „Half-Life 2“ ins Zentrum, der seine zombifizierte Gemeinde zwar nicht verlasse, zugleich aber mit einer Schrotflinte auf sie schieße. Aus beiden Aspekten lassen sich interessante Beobachtungen über das Amtsverständnis Grigoris einerseits und sein Seelenverständnis andererseits ziehen. Kann bspw. das Töten der Zombies als eine Form (passiver) Sterbehilfe gelten? Alan van Beek (Salzburg) schließlich sprach darüber, wie in „Pentiment“ der mittelalterliche „Eneasroman“ Heinrichs von Veldeke durch die Figur der Schwester Illuminata herangezogen wird, um Kritik am Patriarchat zu üben, das ihr trotz ihrer hohen Bildung und Abstammung Selbstbestimmung und gesellschaftliche Geltung verwehrt. Das Spiel identifiziert Illuminata durch seine Bildführung mit der Romanfigur Dido und führt die Schwester zu dem Schluss: „It’s fine poetry. For men“ – denn Frauen erhielten in Literatur wie Lebenswirklichkeit ihrer Zeit ausschließlich Bedeutung in Abhängigkeit von männlichen Protagonisten.
Eine Publikation der Beiträge in Form eines Sammelbandes ist avisiert.